Tui Shou ermöglicht es, die Begriffe Fülle und Leere (Yang und Yin) durch Berührung zu verstehen. Voll ist im Tui Shou gleichbedeutend mit hoher Dichte oder Konzentration, leer ist gleichbedeutend mit Entspannung oder Unaufmerksamkeit. Das Training besteht darin, sich an die Berührung des Partners anzupassen: Wenn er voll ist, reagiert man mit Leere und umgekehrt. Im klassischen chinesischen Denken findet sich das Konzept von Leere und Fülle in allen Künsten (Malerei, Kalligraphie, Musik) wieder. Tui Shou ermöglicht es uns auch, den ständigen Fluss der Veränderung zu spüren, der sich immer in der Realität vollzieht, indem wir wie das Wasser der Linie des geringsten Widerstands folgen.
Tui Shou erweitert unser sensorisches Feld durch elastische Bewegungen in alle Richtungen (oben, unten, vorne, hinten, kreisförmig). Der Körper wird sensibel und stark, sodass er leicht reagieren kann. Durch das Studium von Tui Shou wird der Tastsinn für alle Verteidigungs- und Angriffstechniken geschaffen: Paraden, Blocks, Schläge. Die Anwendung der Explosivkraft ermöglicht es, die Kraftübertragung auf den Partner zu studieren. Tui Shou führt auch in die Prinzipien des Ungleichgewichts ein. Tui Shou bereitet auf den freien Kampf vor, da es ein systematisches Training für die Phase des Kampfes ist, in der man mit dem Gegner in Kontakt ist.
Bei den Grundübungen nimmt man mit einer Hand Kontakt auf der Stelle auf und studiert die verschiedenen Kraftrichtungen. Man drückt nach vorne, zieht, lenkt ab, geht nach oben, geht nach unten. Dann geht man zu den beidhändigen Übungen über, an Ort und Stelle und aus der Bewegung heraus. Man studiert zuerst die elastischen Kraftrichtungen, dann lernt man Ungleichgewichte, den Partner zu schieben und zu ziehen. Man beginnt damit, sich an den Partner zu klammern, um ihn dann bei seinen Bewegungen festzuhalten, zu verbinden und allen Richtungsänderungen zu folgen.
Das Training von Tui Shou "sich mit den Händen abstoßen" ist einer der Aspekte der chinesischen Kampfkünste wie Taiji Quan, Xing Yi Quan, Ba Gua Zhang und Wing Chun. Die Tui Shou sind eng mit grundlegenden Vorstellungen der chinesischen Kultur verbunden. Sehen wir uns die Besonderheiten der Tui Shou des Yi Quan an :
1. Kontinuität durch die Spirale
2. Das Durchbrechen der Spirale
3. Die Umwandlung und Ablenkung der Angriffe
4. Die Übertragung der Macht
5. Das Nichthandeln, um besser zu handeln
1. Kontinuität durch die Spirale
Die Besonderheit der Tui Shou des Yi Quan ist die beidhändige Form. Die gegenüberliegenden Unterarme der Partner berühren sich, so nah wie möglich am Handgelenk (siehe Foto1). Die Unterarme drehen sich spiralförmig. Beide Hände zeigen in Richtung des Partners. Beide Partner führen abwechselnd die gleiche Bewegung aus. Der Wechsel von oben, unten und herum sensibilisiert den Unterarm. In dieser Geste findet man das Symbol von Yin und Yang (ständiger Wechsel ohne Bruch oder Dominanz). Das Einrollen erfolgt mit einer Berührung, die weder zu leer (weich) noch zu voll (kontrahiert) ist. Man reguliert die Berührung, um dem kontinuierlichen Ablauf der Geste zu folgen und ihn zu spüren. Die Wiederholung dieser Geste ermöglicht eine Vereinheitlichung der Empfindungen zwischen den beiden Partnern. Dieses Training in Harmonie ermöglicht es, mit der Haut die Veränderungen der Dichte und die räumlichen Veränderungen zu spüren und zu hören. Diese Geste ist der Auftakt zum Bruch (Angriffsinitiative). Man führt diese spiralförmigen Bewegungen systematisch aus, wenn man Tui Shou studiert, auf der Stelle und in Bewegung.
2. Der Bruch der Spirale
Der Bruch der Spirale erfolgt in dem Moment, in dem einer der beiden Partner angreifen, stoßen oder aus dem Gleichgewicht bringen will. Die Phase des Durchbrechens erfolgt, indem der Kontakt aufrechterhalten wird. Das Stoßen der Hände ermöglicht es, Veränderungen des Rhythmus, der Dichte (voll oder leer) und des Willens zu spüren und angemessen darauf zu reagieren. Im Yi Quan kann die Angriffsinitiative einhändig oder beidhändig erfolgen, wobei die Hände in der Regel auf die Körpermitte zielen. Der Angriff mit der Hand kann in Ellenbogen- und Schulterstöße übergehen. Das Durchbrechen der Spirale wird parallel zum Erlernen der Kraftübertragung und der Bewegungsumwandlung erlernt. Um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, muss der Angriff durch Kleben und Folgen umgewandelt und abgelenkt werden.
3. Die Umwandlung und die Ablenkung
Es gibt verschiedene Lösungen, um ein Ungleichgewicht oder einen Angriff zu verhindern:
1. Die Aufhebung
2. Die Umlenkung
3. Die Umwandlung
4. Die Absorption
1. Die ideale (sehr schwierige) Reaktion ist die Annullierung der Angriffsinitiative gleich nach ihrer Entstehung. Dies geschieht, indem man die Kontaktdichte oder die Richtung der Geste ändert, ohne zu brechen. Der Partner wird folgen oder in seinem Schwung aufgehalten werden.
2. Man lenkt ab, wenn man ein Übermaß in einer bestimmten Richtung spürt (was ein Vakuum erzeugen wird). Die Ablenkung ist abhängig von der Richtung des Stoßes. Bei einem kräftigen einhändigen Abstoß bewegt man beispielsweise den hinteren Fuß, wobei der Armkontakt erhalten bleibt, und lässt den Abstoß ins Leere laufen (siehe Foto). Eine gute Beherrschung der Bewegungstechniken erleichtert das Ablenken von Schüben und Angriffen.
3. Die Umwandlung eines Stoßes erfolgt durch die Elastizität des Körpers. Man behält beim Stoß den Kontakt bei, ändert die Richtung des Angriffs (indem man kleben bleibt), der Partner riskiert, aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden, er ist gezwungen, der Veränderung zu folgen. Die Verwandlung kann bei jeder Art von Schub oder Angriff angewendet werden.
4. Die Absorption des Stoßes erfolgt, wenn man den Stoß nicht aufgehoben, abgelenkt oder umgewandelt hat. Die Verwurzelung ist die Grundlage für die Absorption. Indem man sich zum Boden hin verwurzelt, rundet man den "Körperbogen" ab und absorbiert die Kraft, indem man sie zum Boden hin weiterleitet. Diese Absorption ermöglicht eine Rückführung des Bogens in Richtung des Gegners. Im Tui Shou reagiert man auf Fülle und Leere. Voll steht für zu viel Kontraktion, zu viel Amplitude, zu viel Willenskraft usw..... Leere steht für zu viel Weichheit, zu wenig Präsenz, zu wenig Verwurzelung, zu wenig Kontakt.
Diese Techniken werden zuvor allein durch "Shili" (Kraft ausprobieren) studiert. Die Kraft ist keine rohe Kraft, sondern "eine Kraft, die sich aufrollt und fortsetzt wie ein Seidenfaden, der sich dehnt".
4. Die Übertragung von Kraft
Die Kraftübertragung auf den Partner ermöglicht :
1. Das Ungleichgewicht
2. Den Schlag
3. Die Destabilisierung
Die Techniken der Kraftübertragung werden im Yi Quan durch die Techniken von "Fa-li" (die hervorsprudelnde Kraft) studiert, in den anderen chinesischen Kampfkünsten spricht man auch von "Fa-jing". Bevor die Kraft hervorgebracht wird, muss sie durch Zhang Zhuang und die Shili angesammelt werden (Soujing).
1. Die Fali zum Ausbalancieren nutzen die Streckkraft des Körpers. Das Ungleichgewicht wird entweder durch Vorwärtsschieben, Rückwärtsziehen oder durch die Kraft der Gegensätze (links/rechts, vorne/hinten) erreicht. Die Kraft des Stoßes sollte wie eine Feder sein (kurz, weit, explosiv). Man nutzt die Kraft des Körpers in seiner Gesamtheit (zheng ti).
2. Fa-li zum Schlagen nutzen die Schlagkraft, die einige Zentimeter weit eindringt. Im Tui Shou wird nur der Körper getroffen, die fa-lis zum Körper destabilisieren den Partner, machen ihn aber nicht kampfunfähig.
3.Fali zum Destabilisieren nutzen eine Vielzahl von Kräften: Reiben, Drücken, Wickeln, Schrauben, Schütteln erzeugt ein Vakuum, das es ermöglicht, eine Technik anzuschließen, um das Gleichgewicht zu stören. Die Kraft, die schüttelt, ist zum Beispiel eine Folge von fa-li, als würde man einen Olivenbaum schütteln. Die Fa-Lis zum Destabilisieren liegen an der Grenze zwischen Ungleichgewicht und Schlag.
All diese Kräfte werden durch das Gefühl der Körperauflagen im Raum und der inneren Kräfte (Streckung, Beugung, Vereinigung, Opposition) erzeugt. Bei Tui Shou geht es nicht darum, den Partner k.o. zu schlagen, sondern die verschiedenen Kraftübertragungen im Kontakt zu untersuchen. Die Kraftübertragung ist für die Parade- und Angriffstechniken im Sanshou (Freikampf) von entscheidender Bedeutung.
Tuishou sind die praktische Umsetzung des chinesischen taoistischen Konzepts: Nichthandeln (Wu Wei). Die spiralförmige Bewegung und die Umwandlung in Kontinuität ermöglichen ihre Anwendung. Die Spirale ist ein Mittel, um den richtigen Zeitpunkt zum Handeln zu spüren. Die Handlung erfolgt, ohne ein Risiko einzugehen, man stürzt sich hinein wie ein fließender Fluss, man folgt der Linie der größten Leichtigkeit. Es gibt keinen Willen zu gewinnen oder zu dominieren. Das Nicht-Handeln impliziert ein Zuhören und eine Osmose mit dem Inneren und dem Äußeren.
Dieser Begriff ist aktiv. Handeln-ohne-Handeln ist ein Laissez-faire / Laissez-passer. Dafür sorgen, dass sich die Handlung von selbst entfalten kann. Das Bild der Schlange oder des Drachen beschreibt diesen Begriff des Nicht-Handelns gut : "Der geschmeidige Körper des Drachen hat keine feste Form, er wellt und biegt sich in alle Richtungen, zieht sich zusammen, um sich zu entfalten, zieht sich zusammen, um voranzukommen; er schmiegt sich so gut an die Wolken, dass er, immer von ihnen getragen, voranschreitet, ohne sich zu verausgaben."
tuishou
Eine kulturelle Form des chinesischen Kampfes
Tui Shou ist eine Form des Trainings, bei der technische und theoretische Prinzipien der chinesischen Kultur vermittelt werden. Diese Kampfform hat nicht denselben Zweck wie ein Kampf nach westlichem Vorbild. Bei Tui Shou geht es darum, Harmonie, Fließen, Elastizität, Transformation, Explosivität und Verwurzelung durch Kontakt und Berührung zu spüren. Kontrolle und Dominanz werden ohne Anwendung roher Gewalt erreicht.
Die tui shou erfordern ein langes Lernen allein (zhan zhuang für Verwurzelung und Einheit, shi-li für Umwandlung und Kontinuität der Kräfte, fa-li für das Sprießen der Kräfte, mocabu für die Bewegungen), bevor sie zu zweit angewendet werden können.
Die tui shou sind ein wichtiger Schlüssel, um einen idealen Körperzustand für den Kampf und die Gesundheit zu finden. Das kontinuierliche Kontakttraining fördert die Bereitschaft in der Nahkampfphase beim Sanshou (Freikampf).